Traben-Trarbach, Deutschland
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Der NATO-Bunker in der Nähe von Traben-Trarbach wurde nach seiner Auflösung von privat aufgekauft und als Cyberbunker betrieben. Die Betreiber bezeichneten die dort installierte Serverfarm als 'Bulletproof Hoster'. Damit wollten sie den Kunden, die kriminelle Geschäfte im Darknet abwickelten, weitreichende Anonymität zusichern. Der Zugriff der Polizei erfolgte jedoch bereits 2019 und nicht 2022, in dem die Story dieses Bandes spielt. Die Razzia in diesem Cyberbunker wurde von den Ermittlern als wichtiger Schlag gegen das Darknet gefeiert und markierte den Beginn einer Serie umfangreicher Verfahren gegen die Betreiber und die Kunden. In 'Wo die Welt verwest' ist Cybercrime-Expertin Georgina May mit der Beweissicherung beauftragt.
»Sie fliegen heute Abend nach Deutschland«, kam Gideon Forester gleich zur Sache, nachdem Georgina sein Büro betreten hatte. »Abflug Washington Dulles mit United Airlines kurz nach sechs, Landung in Frankfurt morgen früh um sieben. Die Kollegen vom Bundeskriminalamt werden Sie dort in Empfang nehmen.«
»Und worum geht es?«
»Das BKA hat eine Serverfarm ausfindig gemacht, über die Aktivitäten im Darknet laufen. Die Beweissicherung wird kompliziert. Man hat uns um Amtshilfe gebeten.«
Darknet! Dieses Wort ließ schreckliche Erinnerungen in Georgina wach werden. »Kann Marcy das nicht übernehmen? Sie ist die fähigste Mitarbeiterin in meinem Team.«
»Ms. Pelletier hat genug um die Ohren«, winkte Forester ab. »Sie wissen doch! Der Ukraine-Krieg und die Überwachung der Cyberaktivitäten unserer russisch-stämmigen Landsleute. Ferner haben die Kollegen ausdrücklich nach Ihnen verlangt.«
Bereits am nächsten Tag ist Georgina am Einsatzort.
»Gute Arbeit, Männer!« Felix Jung klatschte in die Hände.
Der Kriminalhauptkommissar leitete eine Ermittlungsgruppe für schwere organisierte Kriminalität beim Bundeskriminalamt. Nun stand er im ersten Untergeschoss des ehemaligen NATO-Bunkers in Traben-Trarbach. Nach Abzug der Streitkräfte war das Bunkerareal von einem Konsortium aufgekauft worden. Der Bürgermeister des idyllischen Weinortes an der Mosel war seinerzeit froh gewesen, überhaupt einen Käufer gefunden zu haben. Ein modernes Informationszentrum sollte hier entstehen mit Arbeitsplätzen für die Einwohner inklusive. Niemand ahnte, dass die Server nicht an das reguläre Internet angeschlossen waren, sondern im Darknet arbeiteten. Die Betreiber der Anlage befanden sich seit vorgestern in Untersuchungshaft oder waren zur Fahndung ausgeschrieben.
Die neuen Besitzer hatten keinen müden Euro in die Renovierung gesteckt. Die ocker gestrichenen Wände und die an den Decken entlanglaufenden Rohre hatten seit der Fertigstellung in den sechziger Jahren keinen Neuanstrich erfahren. Im krassen optischen Gegensatz dazu fanden die Ermittler hier eine hochmoderne Serverfarm vor, verteilt auf die drei Untergeschosse des Bunkers. Trotz der auf Hochtouren laufenden Lüftung, waberte in den Gewölben ein stickiger, modriger Geruch.
»Alles abstöpseln, verladen und nach Wiesbaden bringen!«, befahl Hauptkommissar Jung.
»Nichts lieber als das«, meinte einer seiner Teamkollegen und öffnete einen Sicherungskasten. »In diesem Mief halte ich es nicht länger aus.«
»Finger weg! Das sollten Sie nicht tun!«
Alle Anwesenden drehten sich um. Durch die geöffnete Stahltür schritt eine Schwarze auf die Beamten zu. Die Räder des Trolleys, den sie hinter sich herzog, ratterten über den gekachelten Boden. Der Mann am Sicherungskasten zog reflexartig seine Hand zurück.
»Georgina May?«, fragte Felix Jung und fuhr in holprigem Business-English mit deutschem Akzent fort. »Ich bin Felix Jung. Ich leite diesen Einsatz vor Ort. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Die Anlage muss weiterlaufen!«, drängte Georgina grußlos. »Jede Manipulation kann dazuführen, dass ein Automatismus einsetzt, der die Daten zerstört.«
»Wie soll das funktionieren, wenn der Strom abgestellt ist?«
»Sehen Sie dies hier!« Georgina deutete auf ein unscheinbares Bauteil zwischen den Servereinheiten. »Ein Kamikaze-Modul! Kappen Sie die Verbindung, ist in diesem Akku genügend Strom gespeichert, um den Löschvorgang einzuleiten.«
»Die bekommen wir wiederhergestellt«, winkte Jung ab.
»Hören Sie Felix«, keifte Georgina. »Ich habe mir nicht die Nacht im Flugzeug um die Ohren geschlagen und mich anderthalb Stunden von Ihrem Chauffeur hierher kutschieren lassen, um zuzusehen, wie alles umsonst war!«
»Heißt das, wir müssen alles hier vor Ort sichern?«
»Zumindest müssen wir die Daten übertragen«, meinte Georgina.
»Wissen Sie, wie viel Terabytes das sind?«, empörte sich Felix Jung.
»Das würde ich wohl eher in Petabytes ausdrücken«, entgegnete Georgina trocken.
Na, da ist Georgina ja gerade noch rechtzeitig gekommen! Den ersten gemeinsamen Arbeitstag beschließen Georgina und Felix in einem Restaurant in Traben-Trarbach
»Danke für den kleinen Ausflug und Danke für die Einladung!«
Georgina hatte den Ausblick über das Moseltal, die Besichtigung der Burgruine Mont Royal und den kurzen Abstecher zur Grevenburg genossen. Einfach mal abschalten! Nun saß Felix ihr gegenüber an einem Tisch in einem gemütlichen Restaurant in Traben-Trarbach. Er hatte sie zum Abendessen eingeladen.
»Gerne!«, erwiderte er. »Das kommt alles auf die Spesenabrechnung. Wenn Sie noch Zeit haben, sollten Sie unbedingt einen Ausflug mit einem Touristenschiff auf dem Rhein machen.«
»Oh, für einen längeren Aufenthalt bin ich gar nicht ausgestattet. Schauen Sie, Felix, ich sitze Ihnen hier im Hosenanzug gegenüber. Ich habe nicht einmal eine Abendgarderobe dabei.«
»Naja, ich komme auch eher leger daher. Ich habe nicht einmal eine Krawatte umgebunden. Im Übrigen sehen Sie hinreißend aus. Und das soll jetzt keine plumpe Anmache sein.«
Georgina verzog die Mundwinkel, ohne etwas darauf zu erwidern.
»Ich bin froh, dass Sie hier sind«, fuhr Felix fort. »Ohne Ihre Hilfe, hätten wir die Server einfach abgehängt und die meisten Beweise hätten sich in Luft aufgelöst. Trinken Sie Alkohol?«, wechselte er das Thema, als die Bedienung die Getränkekarte auf den Tisch legte. »In dieser Region werden exquisite Weine angebaut.«
»Ein Schlückchen zum Essen ist okay. Aber ordern Sie bitte keine ganze Flasche! Mehr als ein Glas trinke ich nicht!«
»Keine Angst! Ich habe nicht vor, Sie abzufüllen!«, lachte Felix. »Ich werde dazu eine Flasche Tafelwasser bestellen.«
»Ich werde mir nachher vom Hotelzimmer aus noch einmal die Daten ansehen.« Georgina sah Felix prüfend an. Sollte er nach dem Essen noch etwas mit ihr vorgehabt haben, so war dies eine klare Abfuhr.